Vorratsdatenspeicherung: EU-Kommission stellt Deutschland Ultimatum
Nachdem die zuständige Justizministerin Sabine Leuthäuser-Schnarrenberger die Umsetzung der europäischen Überwachungsrichtlinie seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konsequent verweigert, hat die EU-Kommission der Bundesregierung eine Frist von zwei Monaten gesetzt, die Richtlinie umzusetzen. Handelt Deutschland jetzt nicht, so drohen Strafzahlungen und ein Verfahren von dem Europäischen Gerichtshof.
Das Bundesverfassungsgericht hatte am 2. März 2010 in einem Urteil festgestellt, dass die bisherige Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in Teilen der Verfassung widerspricht und demzufolge das gesamte Gesetzespaket für ungültig erklärt. Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung feierten dies als Sieg ihrer Bewegung, vergessen dabei allerdings gerne, dass das Verfassungsgericht auch recht deutlich den Anspruch des Staates auf Ermittlung der Inhaber von IP-Adressen bei Rechtsverstößen von einigem Gewicht formuliert und klar gesagt hat, dass der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum bei der Anordnung der Speicherung von IP-Adressen hat. Echte verfassungsmäßige Bedenken gegen eine Beauskunftung von Inhabern von IP-Adressen hatte das Gericht nicht und dies auch klar formuliert. Gekippt wurde das Gesetzespaket letztendlich vor allem wegen der geforderten Speicherung von Telefonverbindungs- und -lokalisationsdaten, die das BVerfG als wesentlich gravierenderen und letztendlich verfassungswidrigen Eingriff sah. Zusammenfassend deutete einiges darauf hin, dass das Gesetz vorwiegend aufgrund von erheblichen „handwerklichen“ Fehlern bei der Erstellung vom BVerfG kassiert wurde.
Die Vorratsdatenspeicherung, die nach dem Urteil des BVerfG für ungültig erklärt wurde, sah eine Speicherung aller Kommunikationsdaten für sechs Monate vor. Dies bezog sich unter anderem auf Standort- und Verbindungsdaten im Telefonbereich, an wen wurden E-Mails verschickt und Zuordnung von IP-Adressen zu Nutzern. Inhalte der Verbindungen (was wurde telefoniert, welche Inhalte hatten E-Mails bzw. welche Internetseiten wurden aufgerufen) waren nicht Gegenstand der Speicherpflicht.
Die in der Bundesregierung für diesen Bereich zuständige Bundesjustizministerin Sabine Leuthäuser-Schnarrenberger, die selbst als erklärte Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung aufgetreten ist und die Klage mit unterstützt hat, hat seitdem jeden Vorstoß in Richtung Vorratsdatenspeicherung konsequent geblockt. Seitens der Strafverfolger wird eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung – zumindest im Hinblick auf IP-Daten – seitdem regelmäßig gefordert. Die Gegner lehnen eine solche Speicherung komplett ab. Alternativen, wie zum Beispiel „Quick Freeze“, die von den Gegnern immer wieder in die Diskussion eingebracht werden, werden von den Strafverfolgern (unter anderem vertreten durch den BDK) als nicht zielführend abgelehnt. Unbestreitbarer Fakt ist jedenfalls, dass auch „Quick Freeze“ ohne eine gewisse Vorratsdatenspeicherung systembedingt nicht funktionieren kann.
Ähnlich wie die Meinungen in der Bevölkerung auseinander gehen, ist auch die Regierungskoalition zerstritten. Eine Einigung darüber, ob und wie gegebenenfalls eine Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt werden könnte, scheint schon allein aufgrund der grundsätzlichen Verweigerungshaltung der Justizministerin in weite Ferne gerückt. Jetzt hat die EU-Kommission den Druck etwas erhöht: Deutschland wurde zusammen mit Rumänien, das die Richtlinie auch noch nicht umgesetzt hat, eine Frist von zwei Monaten gesetzt, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Sollte die Frist ungenutzt verstreichen drohen Strafzahlungen und ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Dem jetzt geltenden Ultimatum war ein Aufforderungsschreiben der EU Mitte Juni 2011 vorausgegangen, das erwartungsgemäß keine Beachtung fand. Eine Beilegung des inhaltlichen Streits in der Regierung ist vermutlich auch nach der Fristsetzung nicht zu erwarten.
Man darf dabei allerdings nicht übersehen, dass auch die geltende EU-Richtlinie nicht ganz unumstritten ist, obwohl sie in den meisten Mitgliedsstaaten mittlerweile in nationales Recht umgesetzt wurde. Unter anderem wird diskutiert, die Speicherfrist auf drei Monate (von bisher sechs Monaten) zu verkürzen.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass zum Thema „Vorratsdatenspeicherung“ die Fronten wie kaum in einem anderen Komplex verhärtet sind. Eine ernsthafte Suche nach einem Kompromiss, der in einer verfassungskonformen Formulierung die Interessen von Datenschutz und Strafverfolgung unter einen Hut bringt, ist nicht erkennbar.