Spammer, Satelliten-Dialer, Regulierer: Der Jahresrückblick 2003 von Dialerschutz.de
Eine Polizeidirektion wirbt in ihrem Gästebuch versehentlich für Dialer. Lockanrufe täuschen Tausende von Handynutzern. Kazaa & Co werden zur neuen Spielwiese der Mehrwertdienstanbieter, die Gerichte kehren faktisch die Beweislast um, und die Regulierer machen endlich Ernst mit dem Kampf gegen unseriöse Dialer: 2003 war ein bewegtes Jahr im Bereich der Mehrwertnummern. Dialerschutz.de blickt noch einmal auf die positiven und negativen Höhepunkte des Jahres zurück.
Januar
Die Bürger im hessischen Landkreis Hersfeld-Rotenburg staunen nicht schlecht, als sie im Januar die Webseite ihrer Polizeidirektion besuchen: Im Gästebuch der Ordnungshüter springt ihnen Werbung für „Hackertoolz“ entgegen – eine Dialerseite. Dialerschutz.de informiert das hessische Innenministerium, das wiederum lässt die Polizei-Seite sofort vom Netz nehmen. Online gehen – und sind – dagegen Dutzende Seiten, die für kostenlose Tauschbörsen wie Kazaa oder Edonkey werben. Wer nicht aufpasse, wählt sich in einen Dialer ein – zu Kosten von damals bis zu 89 Euro pro Einwahl. „Günstiger“ kommen die Opfer einer neuen Art der Abzocke am Handy davon: Erstmals werden 0137-Nummern für Lockanrufe am Mobiltelefon missbraucht. Dialerschutz.de erstattet Strafanzeige. Ebenfalls im Januar: Das vielzitierte Urteil des Landgerichts Berlin zur Zahlungspflicht bei Dialer-Einwahlen wird vom Kammergericht aufgehoben. Und das Bundeswirtschaftsministerium legt einen zweiten Gesetzentwurf vor, mit dem der Missbrauch von Mehrwertnummern gestoppt werden soll.
Februar
Der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel macht von sich reden. Er erreicht vor dem Hamburger Landgericht, dass gegen eine Firma ein Ordnungsgeld von 50.000 Euro für die Verbreitung von 0190-Faxen verhängt wird. Im Laufe des Jahres wird Steinhöfel noch mehrfach auf diese Art gegen Spammer vorgehen. Irreführende Einträge in Telefonbüchern werden derweil einer anderen Firma zum Verhängnis. Das Land Niedersachsen lässt „AMTS Gerichte“ & Co per Gericht verbieten. Eine neue Art des Dialer-Missbrauchs wird bekannt: Abzocker nutzen Scripte, um die Einwählprogramme bereits beim Betreten einer Webseite auf dem PC des Betroffenen zu installieren und zu starten. Ebenfalls im Februar: Die Verbraucherzentralen kritisieren das geplante 0190-Gesetz als nicht ausreichend. Und den ersten Opfern der 0137-Lockanrufe flattern entsprechende Rechnungen ins Haus.
März
Der erste Dialer für Mac OS taucht auf – und verschwindet wenig später wieder im virtuellen Nirvana. Per Spam-Mail werden Dialer verbreitet, die sich über die Provider-Vorwahl 0192 einwählen – die Regulierungsbehörde wird sie wenig später ausdrücklich für illegal erklären. Das Landgericht Kiel stellt fest, dass Netzbetreiber bei strittigen Dialer-Gebühren nachweisen müssen, dass der User sich bewusst eingewählt hat. Ein Schweizer Mehrwertdienst-Anbieter verewigt sich in ungezählten Gästebüchern – und verschafft deren Besitzern damit eine unliebsame Überraschung. Ebenfalls im März: Die Staatsanwaltschaft kommt einigen mutmaßlichen Verursachern der 0137-Lockanrufe auf die Spur.
April
Die Pläne für ein neues Gesetz gegen den Missbrauch teurer Nummern werden konkreter. Das Bundeskabinett verabschiedet – trotz der Bedenken von Verbraucherschützern – einen entsprechenden Gesetzentwurf. Nägel mit Köpfen macht auch eine Augsburgerin: Sie klagt einen versprochenen Gewinn über 25.000 Euro ein, den sie über eine 0190-Nummer abgerufen hatte. Vor anderen dubiosen Zusagen warnt die Bundesärztekammer: Per Fax und 0190-Nummer werde für Potenzmittel geworben. Der Abruf der insgesamt 51 Seiten koste Neugierige allerdings rund 200 Euro, erklärt der Ärzte-Chef. Auch im April: Ein Fax-Spammer buhlt bei Tierschützern um Stimmen bei einer angeblichen Abstimmung. Sie sollen über eine 0190-Nummer erklären, dass sie gegen die Tötung von Hunden und Katzen für die Pelzindustrie sind. Die Tierschutzorganisation PETA, deren Namen in dem Werbefax genannt ist, distanziert sich umgehend von der Aktion; ihr Name werde missbraucht.
Mai
Mit einer üblen Masche zockt ein Unbekannter per Mail ab: „Deine Familie ist in Gefahr!!! Ruf mich sofort an!“ heißt es in den eMails, die er wahllos verschickt. Wer die 0190-Nummer anruft, landet bei einer Sex-Hotline. Weitaus erfreulicher ist da ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth. Die Richter stellen einen „häufigen Missbrauch“ von Dialer-Programmen fest und nehmen ausdrücklich die Mehrwertdienste-Anbieter in die Beweispflicht dafür, dass sie tatsächlich Leistungen geliefert haben. Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post stellt erstmals eine Online-Abfrage für 0190-Nummern ins Netz. Der Bundesrat fordert derweil Nachbesserungen beim 0190-Gesetz.
Juni
Das Tauziehen um das geplante 0190-Gesetz geht auch im Juni weiter. Die Bundesregierung nimmt eine Preisobergrenze für Mehrwert-Einwahlen in die Regelungen mit auf. Außerdem soll für Dialer künftig eine eigene Vorwahl eingeführt werden. Der Bundestag stimmt dem nachgebesserten Gesetzentwurf zu, der Bundesrat lehnt es wenig später ab. Jetzt kommt das Regelwerk in den Vermittungsausschuss. Die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz warnt vor vermeintlichen Paketkarten, die tatsächlich nur zum Anruf einer 0190-Nummer verleiten sollen. Dialerschutz.de berichtet – und bekommt Post von einem Rechtsanwalt. Er fordert im Namen der 0190-Firma, unseren Bericht vom Netz zu nehmen. Wir kontern mit der Aufforderung, uns die ladungsfähige Anschrift seiner Mandantin zu nennen. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört. Falsche Virenwarnungen per Mail führen im Juni per Link zum Download eines 0190-Dialers. Ebenfalls in diesem Monat: Ein Erotik-Anbieter jubelt Surfern einen Dialer unter, der sich – unter anderem – über eine 01805-Nummer einwählt. Konsequenzen will die Regulierungsbehörde aber nicht ziehen.
Juli
Im Juli ist das Gesetz gegen den Missbrauch von 0190 und 0900-Nummern endlich unter Dach und Fach. Der Bundesrat stimmt zu, Verbraucherministerin Renate Künast hält sogar weitere Nachbesserungen für möglich, sollten die neuen Regelungen nicht greifen. In der Hitze des Jahrhundertsommers fällen Gerichte quer durch die Republik verbraucherfreundliche Urteile. Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass auch Auskunftsdienste in der Werbung ihre Tarife nennen müssen. Das Landgericht Berlin entscheidet, dass Netzbetreiber ihren Kunden bei strittigen Rechnungen kostenlos die Einwahlen aufschlüsseln müssen. Und die Amtsgerichte Bünde und Frankfurt nehmen die Netzbetreiber erneut in die Beweispflicht. Ein wichtiger Schritt angesichts einer neuen Entwicklung: Im Netz tauchen erstmals „selbstlöschende“ Dialer auf. Sie vernichten nach der teuren Einwahl (fast) alle Beweise auf dem PC des Betroffenen. Dialerschutz.de veröffentlicht ein Special das zeigt, wie sich Opfer schützen können. Ebenfalls im Juli wartet eine böse Überraschung auf User, die das bekannte Programm XPAntispy downloaden wollen: Die Seite wurde von einem Dialeranbieter übernommen. Das eigentlich kostenlose Tool ist nun auf einer anderen Seite zu finden.
August
Wie der Juli endet, so beginnt der August: Eine offizielle und gut eingeführte Programm-Seite wird von einem Dialeranbieter übernommen. Diesmal trifft es die bis dahin offizielle deutsche Downloadseite von Kazaa Lite. Die Beate Uhse New Media setzt ihren “Feldzug” gegen unseriöse Dialer fort: Nach der In-telegence GmbH lässt sie nun auch der Colt Telecom GmbH gerichtlich untersagen, Nummern weiterzuvermieten, die dann für unseriöse Dialer-Einwahlen verwenden werden. Das neue Mehrwertdienste-Gesetz tritt in Kraft – mit einer Überraschung für die Regulierer: Gerade einmal eine Handvoll Dialer werden – wie nun vorgeschrieben – in den ersten Wochen registriert. Ein streitbarer Jurist, in diversen Foren längst zum Kult avanciert, erstreitet den Sieg: Der Nummernbetreiber dtms verzichtet ihm gegenüber “aus Kulanz und geschäftspolitischen Überlegungen” auf Bezahlung von 47,44 Euro. Die sollten fällig werden, nachdem die Familie des Juristen auf eine angebliche Grußkarte hereingefallen war – ein getarnter Dialer. Ebenfalls im August: Die Deutsche Bahn AG warnt vor irreführenden 0190-Angeboten in Telefonbüchern. Sie habe mit den vermeintlichen „Bahnhofs-Auskunftsdiensten“ nichts zu tun.
September
Weitere Dialer-Opfer erzielen Erfolge vor Gericht. Der Tenor der Urteile: Wenn ein Nummernbetreiber Geld für 0190-Einwahlen will, muss er nachweisen, dass er dafür auch tatsächlich Inhalte geliefert hat. Die Regulierungsbehörde geht einen weiteren Schritt zu mehr Verbraucherschutz. Sie stellt die nun gesetzlich vorgeschriebene Dialer-Datenbank ins Netz. Die wird sich in den folgenden Wochen mit mehreren hunderttausend Wählprogrammen füllen. Der Windows-Nachrichtendienst wird einmal mehr für Dialer-Werbung missbraucht. Diesmal sollen die Betroffenen ein angebliches Sicherheits-Update herunterladen – natürlich ein teures Wählprogramm. Das Düsseldorfer Amtsgericht verurteilt einen 0190-Betrüger zu eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung. Fast zeitgleich stoppt das Landgericht München einen offensichtlich auf Betrug ausgelegten SMS-Chatservice. Statt 80 Cent wurden den Opfern 49,95 Euro berechnet. Und nach einem mehr als einjährigen Rechtsstreit entscheidet das Kölner Landgericht, dass die Verbraucher-Zentrale Hamburg auf ihren Webseiten einen „Zahlungsboykott gegen 0190-Betrüger“ veröffentlichen darf. Der Nummernbetreiber Talkline war dagegen vorgegangen, obwohl er in dem Aufruf nicht namentlich genannt war. Ebenfalls im September: In einer großangelegten Polizeiaktion geht das Landeskriminalamt Hessen gegen die Firma Interfun vor. 18 Büros und Wohnungen werden durchsucht, der Geschäftsführer landet in Untersuchungshaft. Die Ermittler vermuten, dass er und seine mutmaßlichen Komplizen User über Jahre hinweg mit Dialern und 0190-Nummern betrogen haben.
Oktober
Zweifelhafte Ehre für einen Dialeranbieter: Seine Internetseite wird zum Synonym für einen neuen Trend im Web – Dialerangebote, die gezielt Schüler und Jugendliche ansprechen. Der entsprechende Bericht von dialerschutz.de wird von vielen Medien aufgegriffen, so von spiegel online, teltarif, MDR, Antenne Bayern und Hessischem Rundfunk. Mit einem anderen Problem hat eine ganze Reihe von Internetsurfern zu kämpfen: Dialer, die sich über eine – eigentlich kostenlose – 0800-Nummer einwählen. Wenig später flattert den Betroffenen eine Rechnung über 83,70 Euro ins Haus. Durch die Einwahl, so der dänische Anbieter, sei ein Vertrag für „InternetBezahldienste“ geschlossen wurden. Viele Opfer wehren sich: „Dänen zeigen wirs“ wird zum geflügelten Wort. Die Regulierungsbehörde meldet die Registrierung von mittlerweile 560.000 Dialern – und korrigiert das drei Tage später: Knapp 400.000 Dialern des Berliner Betreibers Mainpean GmbH wird die Registrierung nachträglich entzogen. Die Wählprogramme hätten nicht den Mindestvorgaben entsprochen, heißt es. Die deutsche Bundesregierung stellt sich demonstrativ hinter die Regulierer: „Diese und weitere Maßnahmen sollen zukünftig für mehr Transparenz auf dem Markt sorgen“, erklärt sie. Mainpean reagiert erst verwundert, und dann mit einer Informationskampagne auf ihren Webseiten.
November
Die Luft für die Dialer-Branche wird nochmals dünner. Jetzt greift auch Google, die meistgenutzte Suchmaschine der Welt, durch: Werbeanzeigen für Seiten, die Dialer nutzen oder „den Gebrauch von Dialern fördern“, würden ab sofort nicht mehr zugelassen, meldet das Unternehmen. In einem der bis dahin größten Strafprozesse um Betrug mit 0190-Nummern wird ein 52-jähriger Mann zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Er hatte Opfer um rund 700.000 Euro geprellt. Eine neue Welle von Lockanrufen mit 0137-Nummern läuft an. Die neuen Telefonbücher kommen auf dem Markt – wieder mit 0190-Diensten, die mit Stichworten wie „Straßenverkehrsamt“ und „Bahnhof Auskunft“ locken. Polizei, Verbraucherschützer und User müssen sich derweil mit einer neuen Art der Abzocke beschäftigen – Dialer, die sich über hochtarifierte Satelliten-Nummern ins Netz verbinden. Die Masche, zeitgleich aufgedeckt von dialerschutz.de und Internetfallen.de, macht sogar in Großbritannien Schlagzeilen. Ebenfalls im November: Die Regulierungsbehörde gibt bekannt, dass Call-by-call-Angebote über die Vorwahlen 0190 und 0900 binnen drei Wochen einzustellen seien. Solche Angebote dürften künftig nur noch über die speziell dafür bereitgestellten Vorwahlen 010xy und 0100xy angeboten werden. Viel passiert allerdings nicht – bis heute sind die meisten derartigen Angebote verfügbar.
Dezember
Vier Monate nach dem neuen Mehrwertdienste-Gesetz werden die Regeln für Dialerangebote noch einmal strenger. Dialer dürfen sich jetzt nur noch über die spezielle Vorwahl 09009 einwählen. Außerdem wird vor der tatsächlichen Einwahl eine mehrfache OK-Abfrage vorgeschrieben. Ein Anbieter, der sich nicht an die Regeln halten will, kassiert von einem Konkurrenten prompt eine einstweilige Verfügung. Ein Unbekannter gibt vor, deutsche Firmen am Wiederaufbau des Iraks beteiligen zu wollen. Seine Mails, in denen er um Prospekte bittet, verweisen – natürlich – auf eine teure 0190-Nummer. Das Amtsgericht Dortmund nennt den Missbrauch von Dialern „schlichtweg Diebstahl“. Ermittler durchsuchen derweil den Fernsehsender BTV 4U. Ihr Verdacht: Zuschauer sollen bei Gewinnspielen über 0137-Nummern betrogen worden sein. Die Telekom Austria spricht von Millionenschäden durch unseriöse Mehrwertdienstangebote in Österreich. Dialerschutz.de steht kurz davor, die magische Grenze von zwei Millionen Besuchern zu durchbrechen – aber das heben wir uns für 2004 auf…