Gewinnanrufe, Razzien, neue Dialer-Tricks – der Jahresrückblick 2004
0190 und 0137-Spammer treiben ihr Unwesen. Der Bundesgerichtshof spricht ein wegweisendes Urteil zum Dialer-Missbrauch. „Hanseatische Abrechnungssysteme“ und „Digital Web Media“ schocken zehntausende Betroffene durch hohe Rechnungen – bis die Polizei durchgreift. Auch im Jahr 2004 sorgten Dialer, Mehrwertdienste und unseriöse Anbieter wieder fast täglich für Gesprächsstoff. Dialerschutz.de blickt noch einmal auf die positiven und negativen Höhepunkte des Jahres 2004 zurück. Im ersten Teil unseres großen Jahresrückblicks: Die Monate Januar bis Juni.
Januar
2004 beginnt mit einer schlechten Nachricht für abgezockte Verbraucher: Ein Jahr nach der groß angelegten Welle von Lockanrufen mit 0137-Nummern stellt die Staatsanwaltschaft Paderborn ihre Betrugsermittlungen ergebnislos ein. Dem Verdächtigen und seinem Unternehmen sei die Tat nicht nachzuweisen gewesen. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die „Dialer-Problematik endlich wirklich“ zu lösen. Auch der Verein der Freiwilligen Selbstkontrolle Telefonmehrwertdienste (FST e.V.) kündigt an, verstärkt den Markt überwachen. Gleichzeitig bestätigen Regulierungsbehörde und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), dass die Beschwerden über so genannte Auslands-Dialer immer mehr zunehmen – auch, wenn es sich nur um Einzelfälle handle. Polizei und Verbraucherzentralen werden auf ein neues Problem aufmerksam. Hunderte Internetsurfer hatten Rechnungen der Firma Hanseatische Abrechnungssysteme erhalten in denen sie aufgefordert worden, 69,95 Euro zu bezahlen. An die Adressen ihrer Opfer kam das Unternehmen über einen Dialer, der eine ganz normale Frankfurter Telefonnummer (069) anwählte.
Februar
Der 1. Februar ist ein weiterer Schritt hin zu mehr Verbraucherschutz. Ab diesem Tag dürfen Netzbetreiber die Verbindungen ihrer Kunden zu 0190- und 0900-Nummern vollständig speichern. Polizei und Verbraucherschutzorganisationen warnen vor einer neuen Welle von Lockanrufen mit 0190-Nummern. Betroffenen wird dabei vorgegaukelt, sie hätten 25.000 Euro oder ein Auto gewonnen. Ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des neuen Mehrwertdienste-Gesetzes zieht die Regulierungsbehörde eine erste Bilanz. Zum 1. Februar waren in Deutschland rund 482.000 Dialer über 09009-Nummern registriert. Gleichzeitig mussten fast 10.000 Verbraucherbeschwerden und –Anfragen beantwortet werden. Insgesamt wurden 51 Mehrwertnummern wegen Missbrauchs abgeschaltet. Ein Augsburger Rechtsanwalt klagt gegen einen Versender von 0190-Gewinnbriefen – mit Erfolg: Der Jurist kann seinen beiden Mandaten jeweils 25.000 Euro aushändigen. Die Verbraucherzentrale Berlin mahnt zwölf Betreiber von Dialer-Seiten ab, die sich gezielt an Kinder richten. Sie sollen den Einwahl-Tarif auf ihren Seiten nennen. Der Münchner Rechtsanwalt Günter Frhr v. Gravenreuth scheitert mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen das neue 0190-Gesetz. Die Richter lehnen es ab, sich überhaupt mit ihr zu beschäftigten.
März
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe fällt sein lang erwartetes Urteil zu Dialern und sorgt damit für mehr Verbraucherschutz. Die BGH-Richter entscheiden, dass Telefonkunden heimliche Dialer-Einwahlen nicht bezahlen müssen. Auch seien Verbraucher nicht dazu verpflichtet, sich explizit gegen solche Einwahlen zu schützen. Die Regulierungsbehörde geht gegen die „Hanseatische Abrechnungssysteme GmbH“ vor. Das Unternehmen, das Dialer mit Ortsnetznummern-Einwahl einsetzte und hohe Rechnungen verschickte, darf dafür kein Inkasso mehr betreiben. Die T-Com kündigt an, für Dialer missbrauchte Auslands– und Satellitennummern zu sperren. Das Zahlungsmittel Premium SMS gerät in die Schlagzeilen. Das ARD-Magazin „Plusminus“ zitiert einen Juristen mit der Aussage, dass dieses Abrechnungssystem möglicherweise gegen geltendes Recht verstößt. Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) kündigt an, auf dem Markt der Anbieter für „geordnete Verhältnisse“ zu sorgen. Eine repräsentative Umfrage ergibt, dass in den letzten zwölf Monaten jeder vierte deutsche Internetsurfer Probleme mit unerwünschten Dialern hatte.
April
Die Schweiz zieht Konsequenzen aus dem steigenden Missbrauch von Dialern. In dem Land werden Dialer über die Mehrwertnummern 0900, 0901 und 0906 komplett verboten. Die Bilanz wird später positiv ausfallen. Die deutsche Regulierungsbehörde entzieht rund 25.000 Dialern der Firmen Mainpean, Global-Netcom und Consul Info B.V. rückwirkend die Registrierungen. Das bedeutet, dass User Einwahlen über diese Dialer nicht bezahlen müssen. Auch das im Oktober 2003 von der Regulierungsbehörde ausgesprochene Verbot von fast 400.000 Dialern der Berliner Mainpean GmbH bleibt bestehen. Mainpean zieht seine Klage gegen das Verbot zurück. Eine neue Welle von Lockanrufen schwappt übers Land. Diesmal werden (verschleierte) 0190-Nummern verwendet, um Handybesitzer zu teuren Rückrufen zu bewegen. Mit einer neuen Masche geht eine Hamburger Firma auf Kundenfang und Jagd nach Geld: Wer auf Chat-Angebote des Unternehmens per SMS reagiert, soll sofort 56,25 Euro zahlen. Begründung: Man habe ein Paket von 75 Kurznachrichten zu jeweils 75 Cent gekauft. Die Rechnung flattert Betroffenen per Post ins Haus. Die Regulierungsbehörde stellt derweil ausdrücklich fest, dass die Rechnungen der Digital Web Media Ltd. nicht bezahlt werden müssen. Sie hatte Tausende Opfer Rechnungen für angeblich abgeschlossene Erotik-Abos im Internet verschickt. Dabei verwendete die Firma Dialer, die 069 oder 01805-Nummern anwählen.
Mai
Die Regulierungsbehörde (Reg TP) geht einmal mehr in die Offensive. Sie stellt auf ihren Internetseiten eine Art “Sünderkartei“ online. Die „exemplarische Liste“ zeigt, wie gegen bestimmte Dialer- und Telefonmehrwertdienstanbieter wegen Verstößen gegen die Vorschriften vorgegangen wurde. Der Verein Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) spricht einem Anbieter von Dialer-Seiten für Kinder eine “Rüge“ aus. Diese bleiben trotzdem online. Effektiver Verbraucherschutz ist wichtiger als die Fortführung dubioser Geschäftsmodelle. Mit dieser Begründung erteilt das Verwaltungsgericht Köln einem Telefon-Spammer mit 0190-Nummern eine juristische Abfuhr. Wieder rollen Wellen von Lockanrufen mit 0190-Nummern über Deutschland hinweg. In Österreich erlässt die Regulierungsbehörde die neue Kommunikations-, Entgelt- und Mehrwertdiensteverordnung (KEM-V). Sie sieht unter anderem vor, dass Dialer ab 1. Januar 2005 ausschließlich in der Rufnummerngasse 0939 angeboten werden dürfen.
Juni
Nach langem politischen Ringen tritt in Deutschland das neue “Telekommunikationsgesetz (TKG) in Kraft. Darin werden unter anderem die Befugnisse der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP) neu festgelegt und erweitert. Im Fall der so genannten Hanseaten-Dialer werden die bundesweiten Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Hamburg konzentriert. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie der Rechnungs- und Mahnungsversand von Firmen wie HFM, Digital Web Media Limited und Nesa Inkasso strafrechtlich zu bewerten ist. Das Ergebnis steht schnell fest: Wenig später durchsuchen Beamte des Landeskriminalamts Hamburg die Räume der Firma Hanseatische Abrechnungssysteme GmbH (HAS) und nehmen die Geschäftsführer vorläufig fest. Das Oberlandesgericht Hamm stärkt den Schutz von Jugendlichen vor teuren 0190-Angeboten. Die Richter stellen fest, dass Werbung für die Bestellung von Logos, Bildmitteilungen, Bildschirmschonern und Mailboxsprüchen per 0190-Nummer in Jugendzeitschriften gegen das Wettbewerbsrecht verstoße. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen spricht von einer „hoffentlich wegweisenden“ Entscheidung.