„Als richtig empfunden“: Deutschlands kurioseste Inkassobriefe
Seit nunmehr zwei Jahren versuchen dubiose Geschäftsleute, mit fragwürdigen Internetdiensten Verbraucher abzukassieren. Ihre wichtigsten Verbündeten: Inkassofirmen und Anwälte, die Mails mit kuriosen Drohungen und Behauptungen verschicken, um ihre Opfer zur Zahlung zu bewegen. Wir haben die merkwürdigsten Schreiben gesammelt.
Es war im Herbst 2005, als die Seite simsen.de online ging – und damit ein neues „Geschäftsmodell“ prägte. Das Prinzip: Die Täter – meist versteckt hinter einer Briefkastenfirma im Ausland – stellen eine Seite zu einem Thema ins Internet und platziert darauf ein großes Anmeldeformular. Im Kleingedruckten, am untersten Seitenrand oder in den AGB versteckt erklären sie, dass es sich um einen kostenpflichtigen Dienst handle.
Anschließend wird noch ein wenig Werbung betrieben (gerne per Mail), und schon tragen hunderte, tausende oder gar hunderttausende Menschen ihre Daten auf der Seite ein. Womit sie in der Falle sitzen: Denn jetzt versuchen die Seitenbetreiber, aus den mehr oder weniger freiwilligen „Kunden“ Geld heraus zu pressen.
Juristisch oft auf sehr dünnem Eis
Leicht ist das natürlich nicht für die Abkassierer. Denn während jeder seriöse Geschäftsmann säumige Kunden vor Gericht bringen würde, scheuen Abzocker die Justiz wie der Teufel das Weihwasser. Was nicht verwundert: Es besteht die Gefahr, dass ihnen der nächste Amtsrichter das Geschäftsmodell für null und nicht erklärt – wie in der Vergangenheit ja schon geschehen. Was bleibt den Betreibern also übrig, wenn sie nicht vor Gericht ziehen können? Sie müssen ihre Opfer mit Hilfe von Inkassofirmen und Anwälten so lange einschüchtern, bis diese bezahlen.
Dabei arbeitet die „Nutzlos-Branche“, wie sie von Spöttern genannt wird, nicht nur mit wüsten Drohungen. In den Schreiben finden sich oft genug höchst gewagte Behauptungen, glatte Lügen und lächerliches Juristen-Kauderwelsch. Wir haben die kuriosesten Formulierungen aus Inkassoschreiben zusammengestellt.
„Für jedes Projekt liegen Rechtsgutachten vor – der Preis wird, so wie es das Urteil des LG Stuttgart fordert, auf der Startseite kommuniziert. Unsere Angebote sind folglich rechtlich einwandfrei.“
Behaupteten die Betreiber der Seite fabrik-einkauf.com in ihren Mahnungen – bis sie Mitte November 2007 Besuch von der Staatsanwaltschaft bekamen. Grund der Razzia: Verdacht des gewerbsmäßiges Betrugs.
„Die Vollstreckung wird auf Ihre Kosten z. B. durch Pfändung von Sachen, Lohnpfändung bei Ihrem Arbeitgeber oder Pfändung bei Ihrer Bank durchgeführt.Der erwirkte Vollstreckungstitel ist dann 30 Tage lang gültig.“
Da bekommt man Angst, keine Frage. Leider vergessen die Absender zu erwähnen, dass vor der Vollstreckung erst einmal ein Mahnbescheid unwidersprochen bleiben – oder ein entsprechendes Gerichtsurteil fallen müsste. Vor Gericht trauen sich die Betreiber fragwürdiger Seiten allerdings nicht – weil sie höchstwahrscheinlich verlieren würden. Wohl auch deshalb wissen sie nicht, dass ein Vollstreckungstitel länger als 30 Tage gültig ist.
„Andernfalls erfolgt die umgehende Einleitung des gerichtlichen
Mahnbescheidsverfahren mit anschließender Vollstreckung!“
Von wegen. Wer einen unberechtigten Mahnbescheid bekommt, muss diesem nur widersprechen (dazu genügt, auf dem Bescheid ein kleines Kreuzchen zu machen) – schon ist Schluss mit „anschließender Vollstreckung“.
“Bitte beachten Sie, dass wir Ihre Weigerung als vorsätzlich werten – eine Rechtsschutzversicherung wird die Kosten dieses Streits nicht übernehmen.”
Dreist und falsch. Der Rechtsschutzversicherung ist es völlig egal, ob die Zahlungsverweigerung „vorsätzlich“ erfolgt – wenn nur die Verteidigung Aussicht auf Erfolg hat und Vertragsrecht mit versichert ist. Dann zahlt jede Rechtsschutzversicherung.
„Als letzte Sicherheitsinstanz wurde die bei der Anmeldung übermittelte IP-Adresse und der dementsprechende ISP gespeichert.Im Falle einer strafrechtlichen Ermittlung ist es den Strafverfolgungsbehörden anhand der IP-Adresse möglich, den PC zu identifizieren, der zum Zeitpunkt der Anmeldung genutzt wurde.“
Klingt toll. Was die Absender „vergessen“: IP-Adressen werden in der Regel nur eine Woche lang gespeichert. Danach ist eben nicht mehr zu ermitteln, wer hinter welcher IP-Adresse steckt. Zudem: Warum sollte die Strafverfolgungsbehörden das überhaupt prüfen – weil eine Briefkastenfirma in Dubai Anzeige erstattet?
„Nach Ablauf dieser Frist werden wir uns die Forderung abtreten lassen und ein gerichtliches Mahnverfahren gemäß §§ 688 ff. ZPO gegen Sie einleiten, wodurch erhebliche Kosten für Gericht und Anwalt, nötigenfalls auch Vollstreckungskosten für den Gerichtsvollzieher, entstehen.“
Unfug. Die Kosten entstehen nur dann, wenn man entweder bereit ist, diese zu zahlen – oder in einem Gerichtsprozess verliert. Selbst dann würden sich die „erheblichen Kosten“ schlimmstenfalls auf 250 bis 300 Euro belaufen.
„Nach Durchführung eines gerichtlichen Vollstreckungsverfahrens steht auch der Verlust Ihrer Kreditwürdigkeit durch Eintragung in das amtliche Schuldnerverzeichnis zu befürchten.“
Nicht wirklich. Im amtlichen Schulderverzeichnis landet man erst dann, wenn man einen Prozess (den es im Fall dubioser Anbieter nicht gibt) verliert – und selbst nach rechtskräftigem Urteil noch nicht bezahlt.
„Wir weisen Sie im Übrigen auf unsere Kooperation mit verschiedenen Wirtschaftsauskunfteien hin; bei Nichtzahlung kann Ihre Kreditwürdigkeit negativ beeinflusst werden. Dies kann sogar zur Kündigung bestehender Bankverbindungen oder Verträge mit Mobilfunkprovidern führen bzw. diese empfindlich stören.“
Es ist völlig unwichtig, mit wem die Firma „Kooperationen“ betreibt. Ebenso ist es glatt gelogen, dass das Bestreiten und Nichtbezahlen dubioser Forderungen die Kreditwürdigkeit beeinflussen würde. Ganz im Gegenteil dürfen bestrittene Forderungen eben nicht in etwaige Verzeichnisse eingetragen werden.
„Wenn Sie davon überzeugt sind, dass Ihre Daten missbraucht wurden, erstatten Sie bitte bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt. In weiterer Folge wird sich die Polizei mit uns in Verbindung setzen. Wir werden der Behörde anschließend alle bei uns angegebenen Daten bekannt geben. Darunter befindet sich auch die IP-Adresse des Täters, mit der eruiert werden kann, von wo und besonders wer sich mit Ihren Daten angemeldet hat“.
Klingt spannend, führt aber in die Irre. Warum sollte man als Opfer Anzeige erstatten? Zudem: In der Regel kann über die IP-Adresse schon nach ein paar Tagen nicht mehr eruiert werden, zu welchem Rechner diese gehört. Und wer sich über die IP-Adresse angemeldet hat, kann man gleich gar nicht herausfinden.
„Es ist allgemein bekannt, dass im Internet nicht nur kostenlose, sondern auch kostenpflichtige Dienstleistungen angeboten werden. Gleiches gilt im Mobilfunkbereich. Überlässt ein gesetzlicher Vertreter dem Minderjährigen in Erkenntnis dieser tatsächlichen Situation entsprechende Zugänge und Geräte, so willigt er demzufolge ein, dass entsprechende Verträge geschlossen werden.“
Ersteres stimmt, im Internet ist längst nicht alles kostenlos. Zweiteres ist glatt gelogen. Nur, weil Eltern ihrem Kind ein Handy oder einen PC zur Verfügung stellen heißt das noch lange nicht, dass sie ihrem Kind auch Vertragsabschlüsse gestatten. Kurz gesagt: Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.
“Ein auf Inkasso spezialisiertes Inkasso-Team (wird Sie) in den Abendstunden persönlich konsultieren, um offene Fragen persönlich zu beantworten oder eine Ratenzahlung vereinbaren zu können (…)“
Betroffene, die bei diesem Satz an einen Trupp schwarz gekleideter Zwei-Meter-Männer vor der Haustür denken, sind möglicherweise eingeschüchtert genug, auch die dümmlichste Forderung zu zahlen – außer, sie erstatten sofort Strafanzeige bei der Polizei wegen versuchter Nötigung.
„Sollten wir wider Erwarten kein persönliches Gespräch mit Ihnen führen können oder keine Zahlung von Ihnen eingehen, werden wir mittels Gerichtsbeschluss einen Mahnbescheid (zuzüglich weiterer Gerichtskosten) und sofort eine Kontopfändung gegen Sie erwirken (auch bei Hartz IV- oder Sozialhilfebezug).“
Macht sich als Drohung gut. Trotzdem gilt auch hier: Bis zum Mahnbescheid ist es ein weiter Weg. Und vom Mahnbescheid zur Kontopfändung ein noch viel weiterer.
„Nach § 110 BGB gilt ein von dem Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag als von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind. Mittel können in diesem Sachzusammenhang nicht nur finanzielle Mittel sein – sondern, wie hier, der Zugang zum Internet und die Überlassung bestimmter technischer Geräte, wie ein Mobiltelefon.“
Richtiger Paragraph, leider falsch interpretiert. Verträge von Minderjährigen sind so lange schwebend unwirksam, bis die Eltern gegebenenfalls einwilligen. Und mit „Mitteln“ ist vom Gesetzgeber Geld gemeint – nicht „Zugang zum Internet“ oder Mobiltelefon. Insofern auch hier: Scheinjuristisches Geschwafel macht das Leben auch nicht schöner.
„Unsere Homepage ist laut E-Commerce recht aufgebaut und überprüft worden und als Richtig empfunden worden.“
Natürlich ist die Kenntnis der deutschen Sprache keine zwingende Voraussetzung, um arglose Internetnutzer abzocken zu dürfen. Hilfreich wäre sie trotzdem. So blieben uns derart sinnlose Sätze erspart.
Tipps für Betroffene von Abo- und Vertragsfallen
Wer sich von einem dubiosen Internetdienst abgezockt fühlt und Rechnungen und Mahnungen von Inkassofirmen und -Anwälten erhält, sollte sich nicht einschüchtern lassen. In unserem Ratgeber zeigen wir, was in diesem Fall zu tun ist, wie sich andere verhalten haben, was es mit Inkassobriefen auf sich hat, und was Ihnen schlimmstenfalls passieren kann. Zum Ratgeber Abo- und Vertragsfallen.